Um es gleich vorweg zu sagen: Es hat gut getan. In einer Zeit, in der nicht nur an den Bühnen der großen Städte das klassische Theater ins Hintertreffen zu geraten scheint (da kann man die Maßbacher getrost ausnehmen), in der Romanbearbeitungen fröhliche Urständ feiern (zugegebenermaßen kann da auch immer wieder einmal großartiges Theater herauskommen), in der Sozialkundestunden und andere Ad-hoc-Gruppenprojekte die Spielpläne der großen Häuser verstopfen, die früher auf der Studiobühne zu erleben waren, in der, was immer noch als besonders originell gilt, Arbeitslose Arbeitslose spielen, weil sie am nächsten dran sind (ob sie nun spielen können oder nicht) - wir merken, das zielt auf Berlin - in dieser Zeit einem Regisseur zu begegnen, der einen Text von Friedrich Schiller nimmt, um ihm mit einer Inszenierung gerecht zu werden, das tut gut. Oder anders gesagt: Augustinus von Loë hat Schillers Drama "Kabale und Liebe" im Intimen Theater auf die Bühne gebracht.
Natürlich ist dieses 1784 in Frankfurt am Main uraufgeführte bürgerliche Trauerspiel zeitgebunden. Dass zwei Liebende wie Luise Miller und Ferdinand von Walter, die nicht zueinander kommen dürfen, am Ende tot sind, ist heute nur schwer zu vermitteln. Das würde man heute anders regeln; aber andererseits ist dieser Tod im Zuge der Handlung überspitzt, aber konsequent. Das Problem kennt man ja schon von Romeo und Julia (natürlich unter anderen Vorzeichen). Und der Mord des Präsidenten von Walter an seinem Amtsvorgänger wäre in den Zeiten von Spurensicherung und DNA-Analyse vermutlich aufgeklärt worden. Aber ansonsten ist das Stück, nicht zuletzt durch seinen Sturm-und-Drang-Charakter, durch seinen (noch erfolglosen) Willen zur Veränderung durchaus tragfähig bis in die Gegenwart - zumindest in Maßbach.
Aber die anderen Probleme, die Schiller aufgreift, gibt es heute noch, auch die Standesgrenzen - mit denen der Adel ja auch heute noch pikanterweise seine Probleme hat, sehr zur Freude der Regenbogenpresse. Aber es ist noch nicht lange her, da galten ökumenische oder interkontinentale Ehen als unerwünscht oder nicht gesellschaftskonform - die Ehe für alle musste ja noch länger warten. Und es gibt auch heute noch Gruppen in der Gesellschaft, die hermetisch unter sich bleiben. Es gibt auch noch Maitressen und das gleiche Machtdenken, die gleiche Kabale und Liebe - nur dass Kabale heute Intrigen, Spezl- oder Amigowirtschaft oder Seilschaftenpolitik heißt. Und es gibt auch heute noch Ehrgeizlinge und Ämtergeier, die zum Erreichen ihrer Ziele über Leichen gehen (und das nicht nur metaphorisch).
Dass die Inszenierung trotzdem ausgesprochen spannend ist, hat zwei Ursachen. Zum einen ist es - das mag überraschen - die nicht ganz einfache Schillersche Bühnensprache. Augustinus von Loë hat an dem Text eigentlich - jenseits von gut verkraftbaren Rollenkürzungen - nichts geändert, sondern ihren enormen Eigenwert erhalten. Er hat mit seinem Team eine ganz natürliche und trotzdem deutliche Sprache einstudiert. Das hält sie fern von dem geliebt-gefürchteten Pathos des Marbachers und ermöglicht ein Hineinhören zwischen die Zeilen. Und plötzlich entdeckt man da, womit man gar nicht gerechnet hat: Humor und Ironie und viel Hintergründigkeit.
Zum anderen ist es die ideenreiche Modernisierung, die das Stück wirklich bis in die Gegenwart führt. Natürlich ist der alte Miller nicht mehr Hofmusikus oder Stadtpfeifer, sondern Liedermacher. Hofmarschall von Kalb ist nicht mehr opportunistischer Hofschranze, sondern umtriebiger, sich höchst wichtig nehmender Marketingfachmann und Eventmanager. Und Lady Milford bewahrt sich zwar ihre hehren moralischen Ideale, aber sie lebt in einer Welt, die "Germanys next Topmodel" schon kennt. Es sind nicht so sehr die Rollen, sondern die aktuellen Charaktere, die man genauso gut auch außerhalb des Theaters treffen kann. Was Augustinus von Loë bei seinem Konzept der Klarheit freilich entgegenkommt, sind die absolut modernen Kostüme von Daniela Zepper und ein schnörkellos nüchternes Bühnenbild von Peter Picciani, eine drehbare Insel, die mit wenigen Handgriffen alle Räume sinnvoll abbildet, ohne groß abzulenken.
Die Truppe nutzt die so entstandenen Räume für die Darstellung mit ganz präzisen Verhaltens- und Reaktionmustern und einem ausgezeichneten Timing. Anna Schindlbeck zeigt eine himmelhoch jauchzende, zu Tode betrübte Luise, die erst allmählich begreift, wie sie in den Mühlen der absolut gnadenlosen gesellschaftlichen Zwänge zerbricht. Lukas Redemann ist als Ferdinand der rationalere Widerpart, der auch mit Erpressung versucht, seine Liebe zu Luise durchzusetzen und für den der gemeinsame Selbstmord integraler Bestandteil und Endpunkt dieses Weges ist. Der alte Miller wirkt in der Darstellung von Ingo Pfeiffer ein bisschen aus der Welt gefallen (kein Wunder, da seine Frau gestrichen ist), aber wenn es darauf ankommt, überrascht und konfrontiert er seine Umgebung mit einem messerscharfen, rücksichtslosen Geist.
Marc Marchand spielt den Präsidenten von Walter, einen eiskalten Machtpolitiker, dem es einzig und allein um die Erhaltung seiner Position geht - und dem man so auch nicht den Sinneswandel glaubt, als er, natürlich viel zu spät, seinem Sohn sein Einverständnis zu einer Hochzeit mit Luise gibt. Dass er sich am Ende nicht wegen des Mordes an seinem Vorgänger selbst anzeigt, passt in dieses Bild. Susanne Pfeiffer spielt die durchaus eitle Lady Milford, die nach der Beziehungskaufkündigung des Fürsten ihre Sicherheit und ihren Platz in der Gesellschaft verloren hat, die ihn ihrer Begegnung mit Luise völlig ihre moralische Orientierung verliert. Vincenzo Tatti ist der Haussekretär Wurm, der steckensteif vor Arroganz und gespielter Unterwürfigkeit sein eigenes Süppchen kocht, weil er glaubt, unentbehrlich zu sein. Und Georg Schmiechen ist der umtriebige Eventmanager, der im Hintergrund ein paar Fäden zieht - ein Berater, dessen Verfallsdatum man wie bei gleichartigen Figuren im Weißen Haus automatisch mitdenkt.
"Kabale und Liebe" steht in Maßbach bis zum Sonntag, 8. April, auf dem Programm.