Im Foyer des Regentenbaus sind leise Flüche zu hören, als Schweden zum 1:0 Führungstreffer gegen Deutschland trifft. Die Frauen vom Einlass, Helfer vom Roten Kreuz und ein Saalwart haben sich um zwei Smartphones geschart und verfolgen das zweite Gruppenspiel der deutschen Elf im Livestream. Von dem dramatischen Spiel bekommen das Publikum und die Musiker der russisch-deutschen Orchesterakademie im Großen Saal nichts mit. Applaus brandet auf. Während die Musiker zum letzten Stück vor der Konzertpause ansetzen, verabschieden sich die Fußballer in Sotschi bereits zur Halbzeit in die Kabinen.


Die WM ausblenden

"Wir werden bei Schuberts Großer an die Nationalmannschaft denken und hoffen, dass sie gewinnen", sagt Thomas Reif am Tag vorher während der Generalprobe. Der Geiger ist Fußball begeistert. Wenn es nach ihm ginge, würde er das komplette Spiel über vor dem Fernseher mitfiebern. Wenn nur nicht der Auftritt auf dem Kissinger Sommer und das Spiel zeitgleich stattfinden würden. "Vielleicht geht es mir ja plötzlich nicht gut und ich muss mich hinlegen", meint er im Scherz, wird aber gleich wieder ernst. Die Arbeit geht vor. Selbst ein kurzer Blick während des Konzerts auf den Liveticker auf dem Handy ist tabu. Die Musiker blenden die WM auf der Bühne aus. Das schließt jedoch nicht aus, hinter der Bühne dabei zu sein. "Kurz vor der Halbzeit schaffen wir es vielleicht, noch ein paar Minuten zu schauen", hofft Reif. 1#googleAds#100x100


Abschlusskonzert des Kissinger Sommers nach hinten gelegt

Die Organisatoren des Kissinger Sommers haben für die Künstler im Backstagebereich einen Fernsehmonitor aufgestellt, auf dem die Liveübertragungen gezeigt werden. Die Weltmeisterschaft wurde allerdings auch schon im Vorfeld bei der Planung berücksichtigt. "Das Abschlusskonzert haben wir wegen des Endspiels um eine Stunde nach hinten verlegt", sagt Intendant Tilmann Schlömp. Das Finale wird am 15. Juli um 17 Uhr angepfiffen, das Schlusskonzert beginnt um 20 Uhr. Fußball- und Klassik-Fans sollen so beides erleben können. Grundsätzlich glaubt Schlömp aber nicht, dass Sportgroßereignisse und das Musikfestival in Konkurrenz zueinander stehen. "Wenn das so wäre, müssten wir den Kissinger Sommer alle zwei Jahre ausfallen lassen", sagt er.

Matthias Beltinger ist Kontrabassist und Orchestervorstand bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Die Bremer sind seit 2017 als Festivalorchester fest mit dem fränkischen Kurort verbunden. Der Spielplan des Kissinger Sommers habe wegen der Überschneidungen mit der WM bei dem einen oder anderen Musiker schon dazu geführt, dass die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen wurden. Natürlich nicht ganz ernst gemeint. "Das ist eine Frage der Prioritäten. Der Beruf geht vor. Ein gutes Konzert zu spielen, ist unsere Pflicht und unser Anspruch", betont der Musiker. Während der Proben und auf der Bühne gebe es keine Ablenkungen. Dass im Konzertsaal Torjubel von außen zu hören ist, komme nur sehr selten vor. Nach dem Konzert, wenn die teuren Instrumente sicher verstaut sind und die Arbeit erledigt ist, treffen sich die Kammerphilharmoniker aber gern Backstage zum Public Viewing - wenn nötig noch in Konzertgarderobe mit Frack und Fliege. "Wenn es spannend ist, will man durch Umziehen keine Zeit verlieren", sagt Beltinger.

Zurück im Backstagebereich des Regentenbaus. Die Musiker der russisch-deutschen Akademie sammeln sich vor dem Fernseher. Manche wie Thomas Reif haben ihre Instrumente bei sich. Ein paar Minuten sind es noch, bevor sie wieder auf die Bühne müssen. In Sotschi hat gerade die zweite Halbzeit begonnen. Den Ausgleich durch Marco Reus erleben die Künstler live mit, ihr Jubel fällt aber verhalten aus. Sie fokussieren sich wieder auf den bevorstehenden Auftritt. Dann geht es raus auf die Bühne, zu Schuberts großer Sinfonie und zum Zittersieg der Nationalmannschaft.