Er ist der Gewinner des Abends. Vier Pokale nimmt Waldemar Tagunov aus Oberwildflecken bei der Königsfeier der Abteilung Schach des Sportvereins Wildflecken mit nach Hause. Sowohl bei der Ortsmeisterschaft als auch beim Blitz-Turnier belegte er den ersten Platz. Das gibt jeweils eine Trophäe für den Sieg und den Wanderpokal, der Jahr für Jahr an den besten Schach-Spieler der Abteilung weitergeben wird.

Tagunov strahlt. Und gibt gleich eine Runde Schnaps für alle aus. Vorstand Volker Zinn würdigt den Doppel-Meister mit einer Urkunde: "Es gibt nicht viele solcher Urkunden", sagt er. 15 Mitglieder hat die Abteilung - noch. "Auch wir suchen natürlich Nachwuchs", berichtet Zinn. Es stünde noch schlimmer um seine Abteilung, wenn die Russlanddeutschen nicht wären. "Wir waren ja froh, dass wir damals überhaupt Spieler bekommen haben", erzählt Spielführer Martin Eisenmann.

Mit damals meint Eisenmann die 1990er. Es war eine Zeit des Umbruchs. Der Rückzug der Amerikaner im Jahr 1994 war ein Einschnitt für die gesamt Region, insbesondere aber für Wildflecken. Mit dem Ende des Kalten Krieges kamen viele Russlanddeutsche in die Rhön. In Oberwildflecken wurde zunächst ein Übergangswohnheim eingerichtet. In Höchstzeiten stammte knapp ein Drittel der Bevölkerung aus der ehemaligen Sowjetunion.

Integration durch Sport

"Da war wie eine Wand zwischen den Leuten", erinnert sich eine Wildfleckenerin in der Runde an die Zeit, als das Verhältnis zwischen Einheimischen und Umsiedlern stark angespannt war. Von der Kirche aus machte sie Besuchsdienst bei den neu zugezogenen Familien. Die bittere Armut und zugleich herzlichste Gastfreundschaft ist ihr hängengeblieben. "Wenn wir kamen, hat sich die Frau den ganzen Tag in die Küche gestellt und gekocht."

Heute kann von dieser Wand keine Rede mehr sein. Die neuen Bürger sind angekommen und fast vollständig integriert. Dass das so ist, liegt ganz wesentlich an der Arbeit der Vereine. Viele Ehrenamtliche im Altlandkreis haben Hervorragendes geleistet. Der SV Wildflecken wurde für sein Engagement schon mehrmals vom Bayerischen Landes-Sportverband als "Anerkannter Stützpunktverein Integration durch Sport" ausgezeichnet.

Königsspiel, Männerspiel, Russenspiel?

Waldemar Tagunov jedenfalls fühlt sich im Verein wohl - auch wenn er kaum Deutsch spricht. Aber er versteht mehr, als einer denken würde, der ihn nur kurz trifft. Und vor allem versteht er einiges von der schwarz-weißen Logik auf den 64 Feldern, die einst ein Sklave - so sagt es die Legende - dem ägyptischen Pharao beibrachte.
Schach, ein Königsspiel. Schach, ein Männerspiel (beim SV Wildflecken spielen nur Männer, die Frauen kommen dann zur Siegerehrung). Schach, ein Russenspiel?

"Sie spielen schon gut", sagt Klaus Hamelmann über seine Mitspieler. Etwa ein Drittel der Mitglieder hat einen russlanddeutschen Hintergrund. Hamelmann selbst hat die Schach-Abteilung 1965 mit aus der Taufe gehoben. Inzwischen stehen so viele Pokale zuhause, so erzählt er, dass seine Frau schon schimpft, sie alle putzen zu müssen.

Die Integration, so sagt er weiter, sei ja schön und gut. Man habe einfach Schach gespielt. "Das kam von ganz allein."