Auf die Frage, was sie fühlt, wenn Sie an Bayreuth denkt, antwortete Iris Wagner im Sommer 2012, wenige Tage nach ihrem 70. Geburtstag, in einem Exklusivinterview mit dem "Fränkischen Tag": "Ich bin beschämt. Ich schäme mich zutiefst für das ganze Unternehmen. Es brennt in Bayreuth an allen Ecken und Enden. Wo man nur den Deckel aufmacht, kommt etwas Schreckliches hervorgekrochen - seien es die fehlenden Sozialbeiträge, die wegbleibenden Bühnenmeister, der aberwitzige Renovierungsstau des Festspielhauses oder die intransparenten Rechte-Verwertungsverträge der BF Medien GmbH. Den Verantwortlichen geht es eigentlich nicht um Richard Wagners Werk, weder oben im Festspielhaus noch unten in Wahnfried. In Bayreuth stehen jetzt gesellschaftliche Eitelkeiten, Repräsentation und Networking im Vordergrund. Zurück bleibt mehr oder weniger ein Nichts, ein ausgehöhlter Richard-Wagner-Kult."

Zusammen mit ihren Geschwistern Wolf-Siegfried (*1943), Nike (*1945) und Daphne (*1946 ) sowie ihrem Lebensgefährten Thomas Kaever konnte die 71-Jährige Iris Wagner am 5. Januar in einer Berliner Palliativstation noch des 97. Geburtstag ihres 1966 viel zu früh verstorbenen Vaters gedenken, vier Tage später ist auch sie einem Krebsleiden erlegen. Nach immer noch aktueller Rechtslage war sie - unter Auslassung ihrer Cousine Dagny Beidler, der Enkelin von Isolde, dem ersten unehelichen und juristisch auch später nie anerkannten Kind von Richard und Cosima Wagner - die älteste Wagnerurenkelin. Sie wurde am 12. Juni 1942, exakt neun Monate nach der Hochzeit ihrer Eltern Wieland und Gertrud Wagner, in Bayreuth geboren.

Mit Klaviermusik fing alles an
"Die Ankunft des kleinen Mädchens, das die Eltern Iris nannten", schreibt Renate Schostack in der 1998 erschienenen Gertrud-Wagner-Biografie "Hinter Wahnfrieds Mauern"," wurde mit einem großen, sich über viele Tage hinziehenden Fest gefeiert. Gertrud lud einen ihrer Lieblingsmusiker aus Berlin ein, den ungarischen Pianisten Georg von Vasarhelyi. Er spielte tagelang auf den Flügeln und Klavieren, die überall in ‚Wahnfried‘ standen. Den Anfang machte eine Konzertouvertüre von Liszt, dem Ururgroßvater der neuen Erdenbürgerin."

Iris wuchs - nach kriegsbedingten Zwischenstationen im Ferienhaus der Familie in Nußdorf am Bodensee (wo seit langem ihre inzwischen 93-jährige Tante, die einzige noch lebende Wagner-Enkelin Verena Lafferentz wohnt), im zeitweiligen Domizil von Großmutter Winifred in Oberwarmensteinach sowie einem längeren Aufenthalt in der Schweiz - ab 1949 überwiegend in der Villa Wahnfried in Bayreuth auf. Das erste größere Familienereignis dort war die gemeinsame Taufe der vier Wieland-Kinder im April 1950 - ein vielsagendes Ereignis, denn die Geschwister hatten bereits ein großes, heute noch gegebenes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt, das durch unterschiedliche Internatsaufenthalte und die schließlich unübersehbaren Eheprobleme der Eltern noch verstärkt wurde.

Wahnfried als gemeinsamer Haltepunkt
Als ihre Mutter Gertrud 1963 erstmals die Scheidung ins Auge fasste, war es Iris, die sich im Namen ihrer jüngeren Geschwister dagegen aussprach. "Mami", wird sie in "Hinter Wahnfrieds Mauern" zitiert, "wir haben nichts, wo wir hingehörten, keinen gemeinsamen Grund als dieses Stückchen Wahnfried - nimm uns dies nicht weg." Drei Jahre später, nachdem ihr Vater seine junge Geliebte, die Sängerin Anja Silja, auch nach Wahnfried mitgebracht hatte, schrieben Bless, Wummi, Nine und Dussi ihm einen Brief, in dem sie an ihn appellierten, entweder Wahnfried für ihre Mutter und sie selbst zumindest als Zuhause aufrecht zu erhalten oder Anja zu heiraten, mit der zusammen sie allerdings dort nicht leben wollten und ausziehen würden.

Es sollte anders kommen. Am ersten Todestag Wielands sagte Winifred Wagner zu ihrer Schwiegertochter Gertrud: "Wenn der Förster stirbt, hat die Förstersfamilie das Haus zu verlassen." Der neue Förster, sprich alleinige Festspielleiter Wolfgang Wagner, zog zwar nicht dort ein, sorgte aber dafür, dass die Familie seines Bruders aus Wahnfried vertrieben wurde. Er ließ seine Schwägerin und deren inzwischen erwachsenen Kinder 1968 wissen, dass das so gut wie leerstehende Wahnfried eine Belastung für den Festspielbetrieb sei und einer Verwendung zugeführt werden müsse. Mit der Gründung der Richard-Wagner-Stiftung ging das Haus als Schenkung für ein künftiges Wagner-Museum in den Besitz der Stadt Bayreuth über.

Aktiv im Stiftungsrat

Die vielseitig begabte Iris, die ihr Abitur am Musischen Gymnasium ihrer Heimatstadt gemacht hatte, studierte unter anderem Germanistik in Tübingen, wirkte später als Fotografin und Übersetzerin von Sylvia Plath und der späteren Nobelpreisträgerin Doris Lessing, drehte Filme mit Robert van Ackeren und verlegte ihren Lebensmittelpunkt nach Berlin. Anders als ihre Geschwister war sie als Wagnerurenkelin Jahrzehnte lang öffentlich nicht wahrnehmbar. Das änderte sich erst, als ihre vormals dunklen Haare weiß geworden waren. 2007 übernahm sie als Vertreterin des Wieland-Stamms persönlich den Sitz im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung, eine Funktion, die ihre Familie bis dahin einem Anwalt überlassen hatte.

"Meine Geschwister", sagte sie später im Interview auf die Frage, warum sie sich plötzlich auch engagiere, "hatten alle schon auf dem Altar Wagners geopfert - ein jeder gemäß seiner Begabung. Nur ich nicht. Ich war einfach dran. Aber wie es so ist: Die Pflicht und der Gegenstand packen einen. Zuerst habe ich mich wie ein Pfadfinder durchgetastet, die juristischen Manipulationen mit Grausen verfolgt und bin im Laufe der Zeit schlauer geworden - und immer wehrhafter. Das muss ich auch sein, denn es macht mich zunehmend wütend, dass die Stiftung einen Großteil ihrer Aufgaben an eine in der Satzung gar nicht vorgesehene, staatlich dominierte GmbH delegiert hat."

Im Widerstand gegen die Strippenzieher
Sie wurde nicht nur wütend, sondern leistete, obwohl sie immer das Gefühl hatte, auf verlorenem Posten zu stehen, mit der Zeit auch nach außen hin Widerstand. "Es hat gedauert", sagte sie noch wenige Wochen vor ihrem Tod, "bis ich begriffen hatte, dass zum Beispiel Gegenargumente nicht genügen, solange sie nicht auch ins Protokoll aufgenommen werden." Um etwas Licht ins Dunkel der unüberschaubaren Zuständigkeiten und politischen Strippenziehereien in der Stiftung und der Festspiel GmbH zu bringen, nahm sie die erste sich bietende Möglichkeit beim Schopf und strengte zunächst wegen des in Leipzig gelandeten Bechstein-Tafelklaviers von Richard Wagner eine Klage an, die im Frühjahr 2013 mit einem Vergleich endete - für sie war das ein immerhin schon Teilerfolg.

Der noch größere folgte nach ihrem Interview 2012, in dem sie ausführlich beschrieben hatte, warum und wie die Planungen zur Sanierung und dem Museumsum- und -neubau in Wahnfried fehlgeleitet seien. Das ursprünglich geplante Museums-Café direkt beim Wagner-Grab im Wahnfried-Garten konnte sie damit verhindern, nicht jedoch, dass naheliegende, das Gesamtensemble erhaltende Alternativen außen vor geblieben sind. Immerhin führten ihre Mahnungen und Appelle inzwischen auch dazu, dass zumindest Teile des sogenannten Siegfried-Hauses passend in die Museumsplanung einbezogen wurden.

Die große Schlacht muss ohne sie stattfinden
Hartnäckig und unbeugsam verfolgte sie ihren Kampf - und verbat jedem, der schon länger von ihrer schweren Krankheit wusste, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Niemand sollte denken können, dass sie dadurch schwach geworden sei. Es ist letztlich wesentlich ihr Verdienst, dass inzwischen nicht nur ein Klavier und das Wohnhaus Richard Wagners, sondern auch die Richard-Wagner-Stiftung, die Festspiel-GmbH und die nach wie vor dynastische Festspielleitung auf dem Prüfstand stehen. Als sie im Stiftungsrat unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen im Sommer der Verlängerung des Mietvertrags bis 2043 für das Festspielhaus zustimmte, ließ Ministerialdirigent Toni Schmid, den sie nicht umsonst früh als "geheimen Festspielrat" bezeichnet hat, zwar wenig später vermelden, dass nun alles in trockenen Tüchern sei. Aber das Gegenteil ist der Fall.

Denn damit verbunden war und ist der Versuch, durch einige Satzungsänderungen die Stiftungssatzung und den Stifterwillen auszuhöhlen und die Wagner-Stiftung um ihr Königsrecht zu bringen, nämlich über die Festspielleitung zu entscheiden. Die anstehende juristische Schlacht muss nun ohne Iris Wagner, die das alles ins Rollen gebracht hat, geschlagen werden. "Die Richard-Wagner-Stiftung verliert mit Iris Wagner eine äußerst engagierte Mitstreiterin", teilte Bayreuths Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe dem Nordbayerischen Kurier mit. "In den Diskussionen und Debatten beispielsweise um den richtigen Weg bei den Festspielen oder beim Richard-Wagner-Museum hat sich Iris Wagner als mahnende, oftmals unbeugsame, manchmal auch als unbequeme Partnerin erwiesen. Sie hat für das, was sie als richtig erachtet hat, gerungen und war bereit, hierfür einzustehen."

Beerdigung im Bayreuther Stadtfriedhof
Die Oberbürgermeisterin - unter anderem auch Geschäftsführerin der Richard-Wagner-Stiftung und gleichzeitig für die Stadt Gesellschafterin im Festspiel-Verwaltungsrat - weiß, wovon sie redet. Sie hat bekanntlich den Mietvertrag nicht unterschrieben. Nach einer rechtlichen Überprüfung durch die Stiftungsaufsicht der Regierung von Oberfranken, die ihre Bedenken teilt, liegt der Vorgang jetzt zur weiteren Prüfung bei der Stiftungsaufsicht des Freistaats im Innenministerium. Währenddessen hat die Bayreuther CSU im Kommunalwahlkampf Merk-Erbe genau deshalb angegriffen - ausgerechnet die Partei, die jenen Oberbürgermeister stellte, der das Wahnfried-Baustellendebakel mit angerichtet und die Pseudowahl der jetzigen Festspielleiterinnen unterstützt hat.

Iris Wagner - teilte ihre Schwester Nike auf Anfrage mit - wird im Bayreuther Stadtfriedhof zu ihrer letzten Ruhe kommen - nicht in jenem Familiengrab, in dem ihre Großeltern und Eltern sowie zuletzt auch Gudrun und Wolfgang Wagner bestattet wurden, sondern in einer gesonderten Grabstelle für die vier Geschwister vor dem Wagnergrab, in Blickrichtung Liszt und Gottesackerkirche, passenderweise unter einer Eiche. Dass sie just an dem Tag gestorben ist, an dem 166 Jahre zuvor Johanna Rosine Geyer, geborene Pätz, verwitwete Wagner (1774-1848), also ihre Ururgroßmutter, die Augen für immer schloss, hätte ihr vielleicht gefallen, dass auf den 9. Januar auch der Todestag ihres Großonkels Houston Stewart Chamberlain (1855-1927) fällt, sicher nicht. Es war auch ihr erklärtes Ziel, das Siegfried-Wagner-Haus als eine Art Aufklärungs- und Erinnerungsort zu erhalten und dort die momentan verstaubte Chamberlain-Bibliothek zu integrieren. Es ging ihr darum, "die sinnlich erfahrbare Aura der Räume in ein Spannungsverhältnis zu den aufklärenden Dokumentationen zu setzen", die dort zum Einfluss von Arthur de Gobineau auf Richard und Cosima Wagner, zum Wirken Houston Stewart Chamberlains und des Bayreuther Kreises bis hin zu den Verflechtungen im Dritten Reich am richtigen Ort wären.