• Coronavirus bereits seit 2019 in Deutschland? Neue Untersuchung aus Berlin 
  • "Patient Null": Erster offizieller Fall bisher am 27. Januar 2020
  • Charité-Forscher entdecken auffällige Patientenakte - "charakteristisches Aussehen"
  • Uniklinik-Wissenschaftler suchten nach Hinweisen zur früheren Verbreitung von Covid-19

Der Ursprung und die Verbreitung des Coronavirus geraten nach dem Ende der bedrohlichen Pandemie immer mehr in den wissenschaftlichen Fokus. Dazu zählt nicht nur etwa die Frage, ob das Virus aus einem Labor oder wirklich vom Tiermarkt in Wuhan stammt, sondern auch, wann und wie der Erreger SARS-CoV-2 nach Deutschland kam. Bisher war man davon ausgegangen, dass der erkrankte Webasto-Mitarbeiter aus Oberbayern sich im Januar 2020 bei einer Geschäftsreise nach China mit dem Virus infiziert hatte. Doch eine Untersuchung der Charité-Universitätsmedizin in Berlin legt jetzt den Verdacht nahe, dass das Coronavirus schon 2019 in Deutschland existierte

War 71-Jähriger in Berlin "Patient Null"? Auffälliges Bild der Lunge in Charité-Daten entdeckt

Ein Forscherteam der Radiologie der Berliner Charité-Universitätsmedizin hatte nach Hinweisen gesucht, "dass sich SARS-CoV-2 in Deutschland früher als offiziell bestätigt ausgebreitet hat". Dazu habe man Befunde von "Thorax-Computertomographien vom Dezember 2019" erneut unter die Lupe genommen, wie es in der am 24. März 2023 veröffentlichten Studie heißt. Hintergrund seien Hinweise gewesen, dass sich auch in Italien und Frankreich im Dezember 2019 das Coronavirus bereits ausgebreitet hatte.

Fündig wurde das Wissenschaftlerteam schließlich bei den Daten eines 71-Jährigen. Der Mann aus Deutschland sei seit dem 30. Dezember 2019 in Berlin an der Uniklinik wegen Atmungsproblemen in Behandlung gewesen. Der Allgemeinzustand der Patientin habe sich nach einem Sturz über sieben Tage hinweg kontinuierlich verschlechtert, heißt es. Bei der Ankunft in der Klinik habe der Senior eine erhöhte Temperatur, "Rasselgeräusche" beim Atmen und eine geringere Sauerstoffsättigung aufgewiesen. 

Bei einer Computertomographie seines Brustkorbs hätten die Ärzte und Ärztinnen in Berlin ein "verrücktes Pflastermuster" entdeckt, zudem seien bestimmte Gefäße erweitert gewesen. Daraufhin sei bei dem 71-Jährigen eine "atypische Lungentzündung" diagnostiziert worden, auch mögliche Viren seien als Erreger infrage gekommen - gefunden worden sei allerdings nichts. Dem Mann sei daraufhin Sauerstoff über eine Nasenkanüle verabreicht worden. Weil es ihm zunehmend schlechter gegangen sei, habe man ihn schließlich über fünf Tage lang intubiert. 

Weil sich die Flüssigkeit in seinen Lungenbläschen zurückgebildet und die Entzündungswerte verbessert hatten, sei der Patient nach rund einem Monat in der Klinik entlassen worden. Im April 2020 sei er schließlich verstorben. Eine Auslandsreise habe der Mann in der Zeit vor seiner Erkrankung nicht unternommen, heißt es in der Studie. "Während seines Krankenhausaufenthalts erhielt der Patient regelmäßig Besuch von seiner Familie. Ein Familienmitglied erkrankte Anfang Februar 2020 und litt mehrere Tage lang an Fieber bis zu 41 Grad. Eine Erregerdiagnose wurde nicht gestellt", schreibt die Forschergruppe. 

"Charakteristisches Aussehen": Forscher sehen hohe Wahrscheinlichkeit für frühere Corona-Ausbreitung

Im Rückblick zeigten "die Infiltrate das charakteristische Aussehen und Verteilungsmuster einer COVID-19-Pneumonie", stellte man nun bei einer erneuten Betrachtung der CT-Aufnahmen fest. "In Anbetracht der Thorax-Computertomographie-Befunde ist es wahrscheinlich, dass unser Patient einer der frühesten Fälle von COVID-19 in Deutschland ist. Der klinische Verlauf stimmt mit dieser Vermutung überein", lautet das Fazit aus der Berliner Charité. 

Ein "höheres Alter und männliches Geschlecht sowie Komorbiditäten" seien häufiger mit einem schwereren Corona-Verlauf verbunden. Die "hohen Entzündungsparameter, die der Patient sechs Tage nach dem Krankenhausaufenthalt aufwies", könnten durch eine "bakterielle Superinfektion" verursacht worden sein, so die Vermutung. Daher deute der Fall darauf hin, "dass sich COVID-19 bereits im Dezember 2019 in Deutschland ausbreitete".

Es gebe zudem weitere Hinweise darauf, dass sich SARS-CoV-2 bereits im Dezember 2019 in Europa ausgebreitet habe. So sei entsprechende RNA bereits am 18. Dezember 2019 in Abwasserproben in Norditalien nachgewiesen worden - ebenso im selben Monat in Frankreich. Allerdings, so schränken die Forschenden selbst zu ihrer möglichen "Patient Null"-Entdeckung ein: Die Diagnose sei freilich nicht durch einen PCR-Test bestätigt worden. Auch müsse man in Betracht ziehen, dass möglicherweise auch andere Erreger oder medizinische Probleme zu einem ähnlichen Lungenbild führen.