Pünktlich zum Tag der Arbeit am 1. Mai hat sich die IG Metall in Person Jörg Hofmann für eine flächendeckende Einführung der Vier-Tage-Woche ausgesprochen. Wieder einmal. Denn die Forderung ist nicht neu - die Reduktion der Arbeitszeit war schon immer ein zentrales Anliegen der Gewerkschaften. Gleichwohl ist diesmal einiges anders: Noch nie standen die Chancen für die Vier-Tage-Woche so gut.

Dass viele Menschen in Zukunft vielleicht tatsächlich weniger Stunden bei gleichem Lohn arbeiten können, hat verschiedene Gründe. Wir haben neun Argumente zusammengetragen, die für die Einführung einer Vier-Tage-Woche sprechen.

1. Geringere Arbeitszeiten senken die Produktivität nicht 

Jahrzehnte, ja jahrhundertelang wurde so getan, als würde die Produktivität eines Arbeitnehmers direkt mit der Arbeitszeit zusammenhängen: Wer länger arbeitet, produziert auch mehr. Nur langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass dies eben nicht unbedingt so ist.

Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass Faktoren wie Motivation, Zufriedenheit und Ausgeglichenheit einen ebenso großen Einfluss auf die Produktivität haben. In Großbritannien hatten nach einem Modellprojekt Anfang des Jahres 56 von 61 Unternehmen angekündigt, die Vier-Tage-Woche beizubehalten, denn dank der geringeren Zahl an Krankheitstagen, der höheren Motivation der Arbeitnehmer und weniger Kündigungen stieg die Produktivität sogar teilweise.

2. Die Attraktivität bestimmter Jobs muss gesteigert werden

Ob Pflegekräfte, Ärzte, Lehrer, ob in der Verwaltung, im Handwerk oder der Industrie - überall fehlen Fachkräfte. Fast 800.000 Stellen waren laut statista in Deutschland bisher im Jahr 2023 durchschnittlich unbesetzt. Gleichzeitig waren im April 2023 über 2,5 Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos. Es geht also darum, junge Menschen für bestimmte Berufe zu begeistern. Dafür ist auch ein attraktives Jobprofil wichtig - nicht allein ein hohes Gehalt.

So wird in Berlin derzeit diskutiert, ob eine Vier-Tage-Woche in der Stadtverwaltung eingeführt werden sollte: In den nächsten Jahren würden viele Angestellte in Rente gehen, Nachwuchs gebe es aber kaum. Mit der Einführung einer Vier-Tage-Woche könnten nun junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angelockt werden. 

3. Der Generation Z geht es nicht allein ums Geld

Die "GenZ", also die Menschen unter 30 Jahren, gelten auf dem Arbeitsmarkt als anspruchsvoll und weniger loyal. Das bedeutet, Arbeitgeber müssen sich strecken, um junge Leute für sich zu begeistern. Und junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind weniger bereit, Probleme an ihrer Arbeitsstelle mitzutragen. Stattdessen ist die Bereitschaft hoch, den Arbeitgeber für attraktivere Bedingungen zu wechseln. Hier spielen die Vier-Tage-Woche und andere flexible Arbeitszeitmodelle wie Sabbaticals und flexible Homeoffice-Regelungen eine entscheidende Rolle. 

4. Die Arbeitszeitverkürzung ist bereits Realität - sie heißt nur anders

IG Metall-Chef Jörg Hofmann hat es in seiner Forderung am 1. Mai bereits angemerkt: In der Metallbranche ist der Wechsel zu einer Vier-Tage-Woche bereits fast Realität. Im Bereich Stahl betrage die durchschnittliche Arbeitszeit pro Woche bereits jetzt nur 33,6 Stunden. Bis zu einer Vier-Tage-Woche mit 32 Stunden ist es dann nicht mehr weit. In anderen Bereichen ist Teilzeit schon jetzt das vorherrschende Modell - und damit oft eine Wochenarbeitszeit unter 30 Stunden. Hier würde durch eine Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich sogar die Attraktivität einer längeren Beschäftigung steigen. Gerade in der Gesundheitsbranche und bei Lehrerberufen könnte das dazu führen, dass dank einer Vier-Tage-Woche mehr Beschäftigte in die Vollbeschäftigung wechseln würden. 

5. Die Vier-Tage-Woche erleichtert die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung

Früher war der Ein-Verdiener-Haushalt Standard in Deutschland. Dass dadurch Alleinerziehende vor massive Probleme gestellt wurden, war der Politik relativ egal. Doch mittlerweile sind die Lebensentwürfe viel diverser - und kaum ein Elternteil ist bereit, sich allein um den Haushalt und die Kinder zu kümmern, während der Partner oder die Partnerin Vollzeit arbeitet. Die Vier-Tage-Woche entspricht hier viel eher der Lebensrealität der Menschen. Sie würde es auch Eltern junger Kinder ermöglichen, einer Beschäftigung nachzugehen. Gerade für Alleinerziehende und ihre Kinder könnte so aber auch das Armutsrisiko gesenkt werden - schließlich gilt derzeit jedes fünfte Kind in Deutschland als armutsgefährdet.

6. Der Arbeitsmarkt ist ein Markt

Arbeitgeber reagieren gemeinhin allergisch auf Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich. Das ist aus ihrer Sicht sicher nachvollziehbar, aber auch relativ egal: Denn der Arbeitsmarkt ist eben ein Markt, wie Arbeitgeber selbst in den letzten Jahrzehnten nicht müde worden, zu betonen.

Viele Jahre lang wurden Forderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter nach besseren Arbeitsbedingungen und besserer Bezahlung abgewiesen. Mit den Hartz-Reformen wurden der Druck auf Arbeitslose und Geringverdiener erhöht. Angebliches Ziel dabei: Die Arbeitslosigkeit zu senken. Denn der Arbeitsmarkt war in den letzten Jahren oft durch eine hohe Arbeitslosigkeit gekennzeichnet und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer waren gezwungen, Arbeit auch unter schlechteren Bedingungen anzunehmen.

Nun hat sich der Wind zumindest ein Stück weit gedreht. Es sind jetzt vor allem die Arbeitgeber, die sich um Arbeitskräfte bemühen müssen. Und die Marktlogik sagt: Wenn die Nachfrage nach Arbeitskräften steigt, dann steigt auch ihr Preis in Form von höheren Lohnforderungen oder eben einer Vier-Tage-Woche.

7. Die Reallöhne steigen wesentlich langsamer als die Produktivität

Auch das nächste Argument ist eher volkswirtschaftlicher Natur. Vergleicht man die Entwicklung der Produktivität in Deutschland, mit der der Reallöhne, wird schnell klar: Deutschland hat kein Produktivitätsproblem. Im Gegenteil: Die europäischen Nachbarländer ächzen unter dem Produktivitätsvorsprung Deutschlands, finanzielle Verwerfungen wie die europäische Schuldenkrise der 2010er Jahre sind die Folge. Doch diese hohe Produktivität wurde durch eine massive Lohnzurückhaltung erkauft, was die Export-Abhängigkeit Deutschlands nur weiter verschärft hat. Um das Problem zu lösen, müssten die Reallöhne deutlich steigen - insbesondere in Zeiten einer durch ein mangelndes Angebot getriebenen Inflation. Oder eben Arbeit anders verteilt werden - beispielsweise durch eine Vier-Tage-Woche.

8. Der Mensch sollte im Zentrum stehen

Bei allen berechtigten Diskussionen um die Arbeitswelt, um Berufe, Löhne und Arbeitszeiten, sollte eines nicht vergessen werden: Der Mensch ist nicht zum Arbeiten auf der Welt. Vielmehr ist die Arbeit dazu da, dass die Menschen gut leben können. Falls eine Arbeit also auch in vier statt fünf Tagen bewältigbar ist, dann sollte man den Menschen diese Option auch ermöglichen. Anders ausgedrückt: Es kann nicht das Ziel einer Gesellschaft sein, immer und immer produktiver zu werden, ohne die Menschen an den Früchten dieser Produktivität auch angemessen zu beteiligen. 

9. Eine Vier-Tage-Woche passt besser in eine nachhaltige Gesellschaft

Der Klimawandel hat uns unmissverständlich die Grenzen unseres Planeten aufgezeigt. Ein unendliches Wachstum, ein immer mehr und immer weiter, wird es nicht geben. Immer mehr Menschen verstehen, dass sie andere Formen der Selbstverwirklichung brauchen - nicht nur den Konsum. Dabei spielt die Gestaltung der eigenen Zeit eine große Rolle. Und auch hier könnte die Vier-Tage-Woche helfen. 

Die Umsetzung einer Vier-Tage-Woche wäre ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung

Natürlich gibt es auch Gründe, die gegen die Einführung einer Vier-Tage-Woche sprechen. Manchmal sind diese rein praktischer Natur, manchmal geht es um Wettbewerbsfähigkeit oder die Finanzierung. Doch die positiven Effekte einer Vier-Tage-Woche überwiegen deutlich - wenn man sie sinnvoll und mit Weitblick einführt und umsetzt.